Festgottesdienst im Hohen Dom zu Aachen

13. Aug 2022

Festgottesdienst im Hohen Dom zu Aachen

Der Dankmesse, die am 13. August im Aachener Dom gefeiert zu 400. Gründungsjubiläum wurde, hat Bischof Dr. Helmut Dieser vorgestanden.

Er predigte: „Sehr geehrte Generaloberin, Sr. Marianne,

und sehr geehrte Hospitalschwestern von St. Elisabeth aus Aachen und aus den internationalen Tochtergründungen, sehr geehrter Herr Dompropst Cremer und Herr Domkapitular Vienken,
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Keupen, sehr geehrte Festgäste aus Nah und Fern,
Schwestern und Brüder im Glauben,

wann ist man eigentlich ein Aachener? Schon daran, wie ich die Frage formuliert habe, können Sie alle leicht erkennen, dass ich es noch nicht so richtig bin, denn sonst hätte ich gefragt: Wann ist man eigentlich ein Öcher? Ist das nur eine Frage der Zeit? Liegt es mehr an einem selbst oder liegt es mehr an den richtigen Öchern, ob und ab wann man als einer von ihnen gelten kann?


Nun, der Anlass unseres heutigen Festes gibt uns auf diese Fragen sehr eindrückliche Antworten.
Heute vor genau 400 Jahren, am 13. August 1622, wurde Apollonia Radermecher von den Aachener Bürgermeistern Schrick und Speckheuer als Meisterin des „Gasthauses von St. Elisabeth“ eingesetzt. Dieses Gasthaus war damals schon seit mehr als 300 Jahren eine Aachener Institution der Armenfürsorge. Es lag am Münsterplatz am Ort der heutigen Sparkasse. Die neue Meisterin, Apollonia, war damals schon 51 Jahre alt. Ihr Geburtstag ist der 9. September 1571. Und nun
darf man staunen: Ihr Geburtsort ist das Aachener Rathaus, und 4 Tage nach ihrer Geburt wurde sie am 13. September in der Taufkapelle des Aachener Doms getauft. Geboren im Rathaus, getauft im Dom: niemand kann bezweifeln: Apollonia Rademecher ist eine echte Aachenerin. Doch nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Gründung, die Aachener Elisabethinnen: Die Not muss groß gewesen sein 1622, als der Magistrat der Stadt sie von s’Hertogenbosch in ihre Heimatstadt zurückrief. Dort schon war sie innovativ tätig gewesen in der Fürsorge für die Armen und die Kranken. Und das sollte sie nun nach dem Willen der Aachener Stadtspitze auch in ihre Heimatstadt übertragen. Apollonia folgte diesem Ruf und sah darin einen Fingerzeig Gottes. Und mit dieser starken Überzeugung ging sie ans Werk und fand bald erste Gefährtinnen. Das alte Gasthaus der hl. Elisabeth wurde zu dem Ort der Stadt, an dem zum ersten Mal eine organisierte und systematische Krankenpflege begann. Dazu ließ sie das alte Haus umfassend renovieren und einen großen Krankensaal einrichten. Der wurde auch schon bald gebraucht, denn 1622 war ein Jahr der Heiligtumsfahrt und unter den Pilgerinnen und Pilgern brach eine Epidemie aus, wahrscheinlich die Pest. Es ist überliefert, dass die Kranken im Gasthaus der hl. Elisabeth alle gesund gepflegt worden seien, was eine ganz erstaunliche Leistung darstellt. Doch schon wenige Jahre später, am 31. Dezember 1626, starb Apollonia selber an einer ansteckenden Krankheit. Zuvor jedoch hatte sie in ihrem Todesjahr mit drei ihrer vielen Mitstreiterinnen die Ordensgemeinschaft der „Hospitalschwestern der Heiligen Elisabeth“ gegründet. Die Wurzeln des gesamten Krankenhauswesens unserer Stadt liegen in dieser Gründung und in der 400jährigen Geschichte Ihres Ordens. Bis heute sind Sie in unserer Stadt caritativ engagiert, und die Geschichte Ihrer Gründung hat auch weit über Aachen hinausgestrahlt in viele Tochtergründungen in Europa und bis nach Kanada.


Wann ist man ein Aachener, eine Aachenerin? Mutter Apollonia gibt uns ihre Antwort: Es ist viel mehr als bloß der Ort der Geburt oder der Taufe. Es ist das Ja-Sagen, das Konkret-Werden, der Mut zum Hier-und-Heute-Beginnen, das uns Menschen erkennbar und zugehörig macht, in Aachen oder wo auch immer. Der Apostel Paulus schreibt an die Christengemeinde in Korinth: „Ich danke Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus geschenkt wurde, dass ihr an allem reich geworden seid in ihm [...], so dass euch keine Gnadengabe fehlt“. Ob Aachen oder Korinth oder wo auch immer in der Welt: Es ist immer meine Zeit und mein Ort, an dem ich erkennen kann und soll, was Gott von mir will, wie ich Christus neu bezeugen kann, und dafür wird Gott mir keine Gnadengabe vorenthalten, die nötig ist, damit es konkrete Gestalt annimmt, so konkret wie das rundum erneuerte Gasthaus am Münsterplatz vor 400 Jahren. Heute feiern wir mit Dank und Lob diese Treue Gottes zu Ihrer Gründerin, Mutter Apollonia, und zu Ihrer Gemeinschaft in 400 Jahren. Weil Gott treu ist, weil die Gemeinschaft mit Jesus das je neu Erkannte echt und real möglich macht: „Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem
Sohn, Jesus Christus, unserem Herrn“, sagt Paulus.

Vor 400 Jahren war die Not groß, mitten in der Gesellschaft, und mit- ten in der Stadt entstand professionalisierte und in den Umständen der
Zeit hoch wirksame Abhilfe. Heute, Schwestern und Brüder, wiegen wir uns in der Sicherheit, weil die Professionalisierung und die Spezialisierung unsagbar weit vorangekommen sind. Die Medizin und die Pflege haben Standards erreicht, die vor 400 Jahren unvorstellbar waren. Die Not, die es auch heute gibt, halten wir gern für ein Randproblem, denn in der Mitte der Gesellschaft greifen alle Segnungen des Sozialstaates und der Armenfürsorge. Doch diese Beruhigungen und die Unsichtbarkeit so vieler Not halte ich für trügerisch!
- Ja, da sind die Tafeln, auf die immer mehr Menschen angewiesen sind, damit sie sich ernähren können.
- Ja, da sind die professionellen Häuser und Anlaufstellen für Obdachlose, für Drogenabhängige, für Geflüchtete, für Opfer sexualisierter Gewalt, Minderjährige wie Erwachsene, Frauen und Männer.
- Ja, es gibt - engstens verflochten mit dem Sozialstaat - die großen kirchlichen Player, die kath. Caritas und die evgl. Diakonie und die anderen kirchlichen und freien Träger von Wohlfahrt und Fürsorge.
Niemand kann und will sich das alles wegdenken! Das alles sind Früchte unzähliger geschichtlicher Initiativen aus verschiedenen Epochen. Und allesamt sind sie ursprünglich direkt oder indirekt inspiriert aus den Wurzeln des Evangeliums, ja aus dem Munde Jesu selbst: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! [...] Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“
Doch zwei Fragen und große Herausforderungen sehe ich heute am Horizont unserer Zeit heraufziehen, die die Not in die Mitte der Gesellschaft zurückbringen:
(1) Was wird der Krieg in Europa, der in der Ukraine brutal wütet, mit uns machen? Wozu führt uns die immer aggressivere Konkurrenz von Autokratismus und Populismus, von globalisierten Mega-Playern mit unvorstellbaren Vermögensmassen gegen die Demokratie und gegen den Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaftsform? Und die ökologischen Krisen mit Hitzewellen, Dürren, Wassermangel, weitreichenden Waldbränden und flutartigen Unwettern? Mit ganz neuen Knappheiten von Energie und anderen Ressourcen, die uns ins Haus stehen? Es ist deutlich erkennbar, dass die, die uns heute regieren, schwer tragen an ihrer Verantwortung. Hören wir nicht auf, für sie zu beten! Ich halte das für uns Gläubige für eine Bringschuld, die aus den Worten
Jesu selber kommt: Liebt einander! Dass wir immer neu für die beten, die uns regieren!
(2) Und die zweite Herausforderung, die ich für immer bedrängender halte, lautet: Wie kommen die Menschen heute in Kontakt mit dem Evangelium, ja mit Jesus selbst, der sagt: „Bleibt in meiner Liebe“?! Alle Wege, wie in früheren Epochen die Menschen gläubig wurden und in die kirchlichen Gemeinschaften hineinwuchsen, sind schmaler und schmaler geworden und schließlich ungangbar. Ein einfaches Zurück zu dem, was früher allein richtig war, gibt es nicht. Doch diesen
Anspruch zu unterlaufen und zu sagen: Ich brauche keine Kirche, um zu glauben!, das halte ich ebenfalls für einen Irrtum, der alle immer nur ärmer werden lässt.

Unter den Sinnanbietern unserer Zeit kann keiner Jesus und dem Evangelium das Wasser reichen! Doch die, die für ihn stehen, stehen verbrannt da von Skandalen, Verbrechen und Zerstrittenheiten in den eigenen Reihen. Viele Menschen werden davon extrem angefochten, verlieren Halt und Gewissheit. Innere Not, zersetzende Wut, ja tief gehende Bitterkeiten sprechen aus vielen persönlichen Briefen, die mir Menschen zusenden.

Es gibt keine Lösungsprogramme, die heute nur auf mehr Professionalisierung setzen müssten und dann ginge es rasch aufwärts. Vor der Professionalisierung steht die Persönlichkeit, steht der Mensch, der Gottes Ruf hört und handelt und so für seine Mitmenschen zu einem der Ihren in ihrer Zeit wird in ganz neuer Weise. Wir brauchen auch heute Gründerinnen und Gründer, Menschen, die als Gerufene Antwort geben mit dem, was in ihnen steckt – wie Mutter Apollonia und die ungezählten Elisabethinnen über 400 Jahre hin.

Ich schließe mit einer Anekdote, die uns nachdenklich machen kann. Es ist die Geschichte von der Monstranz aus der Aachener Goldschmiede von Rath, die Mutter Apollonia für ihr Haus am Münsterplatz hat anfertigen lassen. Persönlich legte sie fest: diese Monstranz darf niemals für andere Zwecke eingeschmolzen werden! Bleibt in meiner Liebe!, sagt Jesus. Ihr seid meine Freundinnen und Freunde! Nicht ihr habt mich, sondern ich habe euch erwählt! In der tätigen Liebe zu den Armen und Bedürftigen und im treuen Gebet zu Jesus in der Eucharistie hat Mutter Apollonia gezeigt, wie sie diese Worte Jesu verstanden hat. Ihr Bleiben war zuerst: bei Jesus
bleiben! So fand sie die Kraft, bei den Armen in Aachen zu bleiben, die sie brauchten. So wurde sie in tiefster Weise zur Aachenerin! Fast wäre die Monstranz in den Wirren des letzten Weltkrieges doch noch eingeschmolzen worden. Durch die Aufmerksamkeit unserer früheren Domschatzmeisterin Frau Dr. Lepie wurde sie 1998 in Österreich wieder entdeckt und nach Aachen zurückgebracht. Der Stifterwille von Mutter Apollonia hat sich also bis heute durchgesetzt:
Folgen wir ihr! Jesus will uns als Freunde und Freundinnen, er zieht uns hinein in die Liebe des himmlischen Vaters. Suchen wir ihn auf im Gebet, auch in der Eucharistie, in der Anbetung.

Gott ist treu! So werden wir nicht nur die kommenden Krisen irgendwie überleben, sondern mehr: Wir werden Halt und Orientierung gewinnen und geben, Mut und Hilfe für die, deren Not heute groß ist und größer werden kann. Und neue Gründerinnen und Gründer werden aus solchem Gebet hervorgehen. Amen."

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